Ich werde heute über das Verhalten einiger Teile der Bevölkerung gegenüber Autoritäten sprechen. Es geht mir hier nicht um die unglaublichen Aktionen, die im Namen einer Religion gemacht werden.
Wir alle erleben den größer werdenden Mangel an Respekt gegenüber Vorgesetzten, Polizisten, Lehrern usw. Ich bin kein Soziologe und mir steht es auch nicht zu, darüber wissenschaftlich begründete Ursachenforschung zu machen. Lassen Sie mich dennoch einige Gedanken dazu sagen.
Ich habe mal als Mieter bei einem Lehrer gewohnt, der mir wichtige Lebensweisheiten vermittelt hat. Es ging um Kindererziehung. Eine davon hieß: Gute Erziehung ist die richtige Mischung aus Liebe und Disziplin. Etwas erklärender ist ein anderer Gedanke: Lasse Deinem Kind soviel Freiheit wie möglich. Mische dich in diesen Freiraum nicht ein, denn es ist ja sein Freiraum. Das Kind muss auch die Möglichkeit haben, Fehler zu machen. Es muss lernen, eigene Fehler selbst zu erkennen. Also keine Helikoptereltern. Zur Freiheit gehören jedoch klare Grenzen, die zudem leicht verständlich sind. Und es muss sichergestellt werden, dass Grenzen eingehalten werden.
Warum erzähle ich das? In den Fünfziger Jahren war es für mich normal, wenn ich etwas ausgefressen hatte und erwischt wurde, dann haben meine Eltern mich nicht gegen jede Vernunft geschützt. Ich musste das selbst ausbaden; egal, ob es sich um kleine Verfehlungen oder schwerer wiegende Dinge handelte.
Ende der sechziger Jahre trauten sich immer weniger Vorgesetzte, egal ob Staatsdiener, Lehrer oder Chef, kleinere Verfehlungen zu ahnden. Die öffentliche Meinung hat es so gefordert. Sog. Bagatelldelikte wurden oft übergangen; im privaten Bereich und auch durch die Gesetzgebung. Und wenn jemand doch genauer hinsah, wurde er oft angefeindet. Hinzu kam immer mehr die Angewohnheit, grundsätzlich die Schuld bei anderen zu suchen. Auch der Gesetzgeber hat das m.E. unterstützt durch zu viele gerichtliche Klagemöglichkeiten.
Liegt nicht hier ein Kern für Autoritätsverlust?
Heute kann ich viele dieser Entwicklungen besser verstehen. Das in der Hamburger Universität am 9. November 1967 ausgerollte Transparent „Unter den Talaren der Muff von 1.000 Jahren“ war ja eine der Initialzündungen für die „wilden 68er Jahre“, in der eine aufmüpfige Jugend mehr Freiheit wollte und alte Ordnungen bekämpfte. Auch ich war teilweise dabei.
Hinzu kam der steigende Egoismus; wohl hauptsächlich eine Folge des größer werdenden Wohlstandes.
Ich bin sicher, dass ich hier kaum Neues erzähle; nur: Offensichtlich funktionieren gesellschaftliche Veränderungen meist in Pendelbewegungen. Mal zu weit in die eine und dann wieder zu weit in die andere Richtung. Kann nicht auch hier der Satz gelten, dass der beste Weg die Mischung zwischen Liebe und Disziplin ist? Liebe steht dann für staatliche Fürsorge und Förderung persönlicher Freiheit und Disziplin steht für die Artikulierung und Durchsetzung der notwendigen Regeln. Nur so kann eine demokratische Gesellschaft gut funktionieren. Dann kann es auch mit der Akzeptanz für Autoritäten besser werden.